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Aug - Oct 2020, Peter Steiner

Der grosse Brand in Dürrenäsch von 1782

1. Teil

In alter Zeit waren die Wohnhäuser – vorwiegend aus Holz gebaut und mit Stroh gedeckt – sehr brandgefährdet. Besonders in den Zeiten der Trockenheit brannten sie wie Zunder. Unachtsamer Umgang mit dem Feuer (offenes Herdfeuer, glühende Asche, Petrollampen, Kerzen) oder ein Blitzschlag konnten sich verheerend auswirken. Die Löschmöglichkeiten waren bescheiden. Man kann sich heute nur noch schwer vorstellen, wie schwierig die Brandbekämpfung einst war. Man war froh, wenn man das Feuer einigermassen in Schranken hielt und wenigstens das Übergreifen auf andere Gebäude möglichst verhinderte. Auch das gelang nicht immer. Vorgeschrieben war jeder Haushaltung der Besitz eines ledernen Feuereimers. Im Brandfall eilten die Dorfbewohner zu Hilfe, bildeten von einem Brunnen aus eine Kette und reichten die mit Wasser gefüllten Eimer von Hand zu Hand zum Feuerplatz weiter. Dort wurde das Wasser in das Becken einer Spritze geschüttet und mit muhsamem Pumpen gegen das Feuer gerichtet.

Altes Bauernhaus mit Strohdach

Altes Bauernhaus mit Strohdach

Im Frühjahr 1782 traf es zwei Dörfer in unserer näheren Umgebung besonders hart. Am 12. März brannte Fahrwangen fast völlig nieder. 56 Haushaltungen mit 275 Personen waren betroffen. Einzig das Schulhaus und der Gasthof zum Bären, beide mit Ziegeldach, wurden verschont. Nur eine Woche später wütete eine Feuersbrunst in Dürrenäsch. Dank ausführlichen Quellen sind wir über das unglückliche Geschehen gut unterrichtet. Erhalten haben sich vor allem ein Augenzeugenbericht des Birrwiler Pfarrers Ringier, eine detaillierte Liste der entstandenen Schäden und die Korrespondenz des Lenzburger Landvogts mit der Regierung in Bern.

Das Feuer brach ungefähr um 8 Uhr abends in einem Haus «zu äußerst im Dorf gegen Norden» aus, also wohl an der Hallwilerstrasse. Die Ursache wurde nicht bekannt; man vermutete Unachtsamkeit. «Am Himmel erblickte man eine fürchterliche Röte.» Überall in der Umgebung erklangen die Sturmglocken, Kanonendonner ertönte. Bald stand ein grosser Teil des Dorfes in Flammen. Das Feuer «war um so viel wütender und verzehrender, je mehr es von dem just in dieser unglücklichen Stunde sausenden Nordwinde angefacht wurde». Der Wind blies so stark, dass angebrannte Strohwische bis nach Hallwil hinunter getragen wurden. Zahlreiche Helfer von auswärts eilten herbei, insbesondere von Leutwil. Aus Seengen und Seon wurden Feuerspritzen gebracht. Feuerläufer kamen selbst von Zofingen und Aarburg, ja von Luzern und aus dem Baselbiet. Doch so sehr man das Feuer bekämpfte und da und dort wohl auch etwas eindämmte, grosse Teile des Dorfes brannten nieder. Der heftige Wind und Wassermangel wirkten sich unheilvoll aus. 24 Häuser mit 47 Haushaltungen lagen in Schutt und Asche. Im Pfarrbericht ist vom «größtenteils verwüsteten Dorf die Rede». Das ist etwas übertrieben. Nach der bernischen Volkszählung von 1764 wies Dürrenäsch 90 Haushaltungen auf. Eingeäschert war immerhin die Hälfte. Das war schlimm genug. 241 Personen, Erwachsene und Kinder, waren ohne Obdach. Vor allem die Häuser im Zopf und im Ausserdorf waren betroffen. Man stelle sich das Elend der Brandopfer vor! Nicht nur ihr Heim hatten sie verloren, sondern auch einen grossen Teil ihrer Habseligkeiten. Unterschlupf fanden sie zweifellos bei unversehrten Familien im Dorf und in der Nachbarschaft, teils bei Familien, die selber in engen Verhältnissen lebten. Glück im Unglück war, dass in Dürrenäsch wenigstens keine Menschen zu Schaden kamen, während in Fahrwangen zwei Säuglinge in den Flammen ihr Leben verloren hatten. Es scheint auch, dass die meisten Familien zumindest das Vieh noch rechtzeitig ins Frei führen und retten konnten. Die Tiere hatten vor dem Hausrat zweifellos Vorrang.

2. Teil

Zwei Tage nach dem Brand galt es, die gewaltigen Schäden festzustellen. Darum bemühten sich der Untervogt von Boniswil als höchster Beamter im Trostburger Gerichtsbezirk, zu dem auch Dürrenäsch gehörte, die Dürrenäscher Vorgesetzten Hans Walti und Hans Rudolf Bertschi sowie der alt Vorgesetzte Hans Jakob Walti. Sie liessen sich von den Betroffenen aufzählen, was sie alles verloren hatten, und trugen den geschätzten Wert nach Häusern und Familien geordnet in eine Liste ein. Dabei ermahnten sie die Geschädigten, streng bei der Wahrheit zu bleiben. Die Beamten kamen bei ihrer aufwendigen Arbeit auf eine Schadensumme von insgesamt nicht weniger als 32’084 Gulden 5½ Batzen. Dass ausser Gebäuden, Hausrat und Vieh auch verbrannte Obstbäume aufgelistet wurden, zeigt, wie verheerend das Feuer gewütet hatte. Die Schadenliste gibt uns eine Vorstellung von den damaligen Lebensverhältnissen.

Den zahlenmässig höchsten Verlust beklagte mit 3400 Gulden verständlicherweise der Löwenwirt Rudolf Bertschi. Er verfügte ja auch über den aufwendigsten Haushalt. Sein Gasthaus und der Anteil an einem weiteren Gebäude waren allein 1400 Gl wert. Von den weiteren Verlusten greifen wir einige heraus. Den zweithöchsten Posten bildeten mit 550 Gl sieben «ganze aufgerüstete Better», inbegriffen einige alte Kleider. Der beachtliche Vorrat an Wein – ca. 2150 Liter – galt 150 Gl, der an Getreide – Korn, Gerste und Roggen – 100 Gl. Schweine- und Rindfleisch, Butter und Fett sowie verloren gegangenes Geld wurden mit 100 Gl bewertet. Die militärische Ausrüstung des Wirts, aus Dragoner-Uniform, Equipage (Wagen) und Armatur (Waffe) bestehend, wurde ebenfalls auf 100 Gl geschätzt.

Schadenliste

Schadenliste

An zweiter Stelle auf der Schadenliste folgte Jakob Walti, Brändlis, zu dessen Haushalt auch die Schwiegertochter mit vier Kindern zählte. Seine Familie hatte ein grosses, für 1000 Gl veranschlagtes «Baurenhaus» bewohnt. Vier verbrannte Betten lassen darauf schliessen, dass nur den Erwachsenen ein solches zustand. Zur Ausstattung der Küche hatten Kupfergeschirr, Eisenhäfen und Pfannen gehört. Dem Landwirtschaftsbetrieb hatten zwei Wagen, zwei Pflüge und allerhand Werkzeug gedient. An Lebensmitteln vermisste man ausser dem Getreidevorrat das Fleisch von drei Schweinen, 40 Körbe Erdäpfel, Öl, Butter, «dürre Birren und Schnitzۜ» und Wein. Ein auffallender Posten, dessen Verwendungszweck wir nicht kennen, waren 100 Pfund «leiniges Garn» und 12 Säcke. Im Stall waren ein junges Pferd und drei Schweine in den Flammen geblieben. Verloren waren auch das gelagerte Heu und das Stroh. Schliesslich war auch Jakob Walti um seine Dragoner-Ausrüstung gekommen. Und im Baumgarten waren mehrere Obstbäume verkohlt.

Weitere wohlhabende Dorfbewohner mit Schadensummen über 1000 Gulden waren Rudolf Bertschi, Gerichtsäss (1960), Jakob Bertschi, Friedlis (1508), Hans Ruedi Bertschi, Bembot (1388), Hans Jakob Bertschi, Samelis (1319), Hans Jakob Bertschi, «Bauelenherr» (1264), Hans Ruedi Walit (1134) und Friedrich Bertsch (1054). Es fällt auf, dass fast alle reichen Dürrenäscher dem Bertschi-Geschlecht angehörten.

3. Teil

Wer einen weniger hohen Schaden erlitt, hatte in der Regel einfach weniger besessen. Der Verlust traf ihn nicht weniger hart als den Reichen mit umfangreicher Schadenliste. Das Wenige, das der Arme besass, war für sein Leben umso wichtiger gewesen. Keine Kenntnis haben wir davon, was die Familien noch retten konnten. Bei Vergleichen ist also Vorsicht geboten. Im folgenden werfen wir einen Blick auf zwei einfachere Haushalte.

Hans Rudolf Steiner-Richner hatte zusammen mit seiner Frau, drei Kindern und der Schwiegermutter in einem Zweifamilienhaus gewohnt. Er beklagte verlorenes Gut im Wert von 406 Gulden. Davon machte die Wohnung mit 300 Gl den grössten Teil aus. Vernichtete Obstbäume wurden auf 27 Gl geschätzt. Im Haus drin waren zwei Kästen, ein Webstuhl, drei Spinnräder, «Schiff und Geschirr» (Küchensachen) und Hans Rudolfs ganze militärische Ausrüstung («Montur und Armatur») verbrannt (zusammen 42 Gl). Die Aufzählung macht deutlich, dass die Familie sich neben der Landwirtschaft auch mit der Baumwollmanufaktur befasste, die im 18. Jahrhundert eine grosse Rolle spielte. Weiteres Mobiliar (Tische, Stühle, Betten) sowie Kleider blieben offenbar nicht in den Flammen. Verloren waren hingegen beträchtliche Vorräte an Korn, Roggen und Bohnen,16 Körbe Kartoffeln, 6 Mass (9½ Liter) Öl, ½ Klafter Heu und 45 Wellen Stroh (36 Gl). Das Vieh hatten Steiners wie die meisten Familien noch rechtzeitig in Sicherheit bringen können.

Samuel Waltis Witwe, mit sechs Kindern belastet, lebte in ganz bescheidenen Verhältnissen. Obwohl sie ausser den Kleidern auf dem Leib kaum etwas gerettet hatte, wurde der gesamte Schaden auf lediglich 282 Gl beziffert. Ihr verbrannter Hausanteil hatte 200 Gl gegolten. Der restliche Besitz ist rasch aufgezählt. Für «Hausrat, Schiff und Geschirr» rechnete man 50 Gl, für «Bauwollware» 12 Gl, für fünf Schafe 10 Gl und für verdorbene Obstbäume ebenfalls 10 Gl. Die Bewohner in den beiden andern Wohnteilen im gleichen Haus hatten über ähnliche bescheidene Besitztümer verfügt, darunter ebenfalls über «Baumwollware». Die textile Heimarbeit war in Dürrenäsch und in der Umgebung offensichtlich stark verbreitet und brachte vor allem der ärmeren Bevölkerung einigen Verdienst.

So viel zu den festgestellten Schäden. Wie aber gingen die Behörden damit um? Die Berner Räte, «von diesem großen Elend und Jammer gerührt», reagierten rasch auf die verheerenden Brände in Fahrwangen und Dürrenäsch. Auf ihre Weisung hin liess der Landvogt auf der Lenzburg den Opfern wenige Tage nach dem Brand Geld und Getreide zur Linderung der grössten Not zukommen. Die Dürrenäscher erhielten rund 349 Gulden in bar und 60¾ Mütt Kernen (ca.4¼ t) im Wert von 1504 Gulden, die nach einem bestimmten Schlüssel verteilt wurden. Man war sich in Bern im klaren, dass mehr getan werden musste. Die Hilfsbereitschaft der ganzen bernischen Bevölkerung war gefragt. Am 18. April stellte die Regierung allen Pfarrherren in ihren «Städten und Landen» ein gedrucktes Schreiben zu, das auf den Kanzeln zu verlesen war. Sie rief darin auf das Pfingstfest hin zu einer freiwilligen Liebessteuer auf. Jedermann wurde aufgefordert, «mildthätiglich» an die unglücklichen Mitlandleute zu denken und «nach seinem Vermögen» an ihren Schaden etwas beizutragen. Für Dürrenäsch erbrachte die Sammlung gut 12’833 Gulden. Das deckte den Schaden zu 40%. In diesem Verhältnis wurde nun jeder Betroffene ohne Rücksicht auf die Vermögensverhältnisse für seinen Verlust entschädigt. Bern stellte zudem eine Summe von 1981 Gl für die Allerärmsten in Dürrenäsch und Fahrwangen zusammen zur Verfügung. Auch wenn wir die anfänglich verteilte Brandsteuer mitberücksichtigen, blieb mehr als die Hälfte des Schadens ungedeckt. Die Geschädigten hatten sich mit bleibenden Brandfolgen abzufinden und mussten schauen, wie sie vor allem wieder ein Dach über dem Kopf bekamen. Ein neues Haus bauen konnten sicher nur die wenigsten. Die übrigen mussten sich kauf- oder mietweise irgendwo einquartieren. Von Hans Rudolf Steiner wissen wir, dass er nach einiger Zeit ein Haus an der Hallwilerstrasse erwerben konnte. Wer einen Neubau errichten wollte, musste nicht nur die Einwilligung der Gemeindeversammlung haben, sondern auch die des Landvogts und allenfalls die des Zehntbezügers auf dem betreffenden Grundstück.

Altes Bauernhaus in Dürrenäsch, bereits mit Ziegldach

Altes Bauernhaus in Dürrenäsch, bereits mit Ziegldach

Die schwer heimgesuchten Dürrenäscher dürften noch lange an den Brand gedacht und an seinen Folgen gelitten haben.

  • Dokument

    • Titel:
      Der grosse Brand in Dürrenäsch von 1782
    • Autor:
      Peter Steiner, Reinach
    • Veröffentlichung:
      1. Aug 2020
    • Download:
  • Quellen

    • Bericht des Birrwiler Pfarrers: in Hans Walti, Heimatkunde von Dürrenäsch, um 1930
    • Dossier über den Brand: Staatsarchiv Aargau AA 1073
    • Entschädigungen: Staatsarchiv Aargau AA 847 (Landvogteirechnung)
    • Hausbau: Staatsarchiv Aargau AA 926 (Konzessionenbuch)
    • Zeitungsartikel: Vor 200 Jahren wütete im Seetal der rote Hahn, Aargauer Tagblatt 12.03.1982
    • Zeitungsartikel: Der grosse Dorfbrand von Dürrenäsch, Wynentaler Blatt 16.03.2007