Monatsbeiträge
Nov. - Dez. 2015, Peter Steiner
Eine frühe Wirtschaft in Leimbach
1. Teil
Auffallenderweise verfügte Leimbach schon im späteren 17. Jahrhundert über eine Wirtschaft. Das erstaunt deswegen, weil die kleine Siedlung vor 1751 nicht einmal eine Gemeinde, sondern bloss ein Steckhof war, und weil die Berner Regierung die Vergabe von Wirtsrechten sehr restriktiv handhabte. Selbst grössere Gemeinden wie Reinach oder Gontenschwil mussten sich mit einem einzigen Wirtshaus zufrieden geben. Offensichtlich profitierte Leimbach davon, dass es im Unterschied zu den Nachbarn der Berner Regierung nicht direkt unterstellt war. Eine Zwischengewalt hatte in mancher Beziehung das Sagen, denn Leimbach gehörte als Aussenposten zur Herrschaft Hallwyl. Die dortigen Herren müssen, von Bern längere Zeit unbeachtet, einer Wirtschaft den Segen erteilt haben.
In den Besitz des Wirtsrechts gelangte Mitte der 1680er Jahre der damalige Reinacher Pfarrer, Johannes Lüthi. Er wirtete freilich nicht selbst, sondern nutzte das Recht als zusätzliche Einnahmequelle. Er hatte an der Dorfstrasse in Leimbach für seinen Sohn gleichen Namens ein repräsentatives Gebäude erstellen lassen. Es wies, ganz ungewöhnlich für damalige Verhältnisse, drei Stockwerke auf, war ein Stein- und Fachwerkbau und verfügte, wohl als erstes Haus in Leimbach, über ein Ziegeldach. Es war damals das oberste Haus auf der westlichen Strassenseite. Lüthis Sohn richtete darin eine Färberei und, im mittleren Geschoss, die Wirtschaft ein. Im Namen seines Vaters hatte er wohl ein Auge auf den Betrieb. Nur vorübergehend betätigte er sich selber als Wirt. Meist waren Lehenwirte tätig, Pächter, wie wir heute sagen würden.
In den Quellen erscheint 1687 erstmals ein Leimbacher Wirt. Das «Wihrtshuß» als solches wird in einem Häuserverzeichnis der Herrschaft Hallwyl von 1693 genannt. Erfreulicherweise erhalten hat sich ein Lehenvertrag mit einem der Wirte aus dem Jahr 1704. Aufgetaucht ist er bezeichnenderweise im Familienarchiv der Herren von Hallwyl, das im Staatsarchiv Bern aufbewahrt wird. Die Besitzverhältnisse hatten sich inzwischen verändert, wie aus dem Vertrag hervorgeht. Pfarrer Lüthi war aus Reinach weggezogen und inzwischen wahrscheinlich gestorben. Inhaberin des Wirtsrechts war nun seine Frau, die sich im bernischen Signau niedergelassen hatte. Als Lehenwirt für ein Jahr stellte sich ein Felix Erismann zur Verfügung, der dieses Amt schon bisher versehen hatte. Im Reinacher Taufrodel erscheint er im Mai 1703 als Vater eines Täuflings und wird dabei als Lehenmann bezeichnet. Pate des Kindes war Johannes Lüthi junior, der offensichtlich das Färber- und Wirtshaus noch immer betreute. Felix Erismann stammte aus Rued.
Doch nun zum Vertrag selber! Aufgelistet werden zunächst die Rechte des Wirts. Zur Verfügung standen ihm im Wirtshaus «die unterstuben sambt nebendstuben und kuchi, auch ein gemach für die gäst zu legen und der fordere keller». Das Zimmer «für die gäst» lässt aufhorchen. Das Leimbacher Wirtshaus war keine einfache Pinte, sondern mit dem Beherbergungsrecht eine Taverne. Leider wissen wir nicht, wie oft dort wirklich Gäste übernachteten.
Doch nun zum Vertrag selber! Aufgelistet werden zunächst die Rechte des Wirts. Zur Verfügung standen ihm im Wirtshaus «die unterstuben sambt nebendstuben und kuchi, auch ein gemach für die gäst zu legen und der fordere keller». Das Zimmer «für die gäst» lässt aufhorchen. Das Leimbacher Wirtshaus war keine einfache Pinte, sondern mit dem Beherbergungsrecht eine Taverne. Leider wissen wir nicht, wie oft dort wirklich Gäste übernachteten.
Erismann standen auch weitgehende Nutzungsrechte ausserhalb des Hauses zu. Nutzen duftte er den «forderen garten sambt der bündten»; ausgenommen waren jedoch die «gwätschgen bäum». Von den Obstbäumen im Baumgarten durfte er je zwei Drittel von den Äpfeln, Birnen, Kirschen und Nüssen für sich abzweigen: ein Drittel gehörte der Besitzerin in Signau.
Titelblatt des Lehenvertrages von 1704
Eigenartig wirkt die Bestimmung, der Lehenmann habe der Frau «gegen billiche bezahlung» bei Bedarf Milch zu liefern. Woher nahm er die Milch und wie liess er sie Frau Lüthi zukommen? War an ihrer Stelle der Sohn Johannes im Haus Nutzniesser? – Weiter verfügen durfte Erismann über einen «plätz Land ob dem Dorff, wo die alte walcki gestanden» und über ½ Juchart «Räben zu Beinweil», musste aber «zwey fuder bauw (Mist) hin lifferen». Schliesslich war er befugt, «uß dem holtz das abgehende und unschädliche zu hauwen und zu brauchen». Offensichtlich gehörte zum Lüthischen Besitz ein Stück Wald.
Im Vertrag folgen die Pflichten des Lehenwirts. Als Pachtbetrag schuldete er «der Frau verleicherin» eine Summe von 110 Gulden. Diese hatte er eigenartigerweise wöchentlich mit je 2 Gulden abzustottern. Zudem war er offenbar vom Vorjahr her noch im Rückstand, so dass er 36 Gulden 1 Schilling und 2 Kreuzer möglichst rasch nachzuzahlen hatte, spätestens aber, bis er das Obst im Baumgarten pflücken konnte, das für die Schuld haftete. Erismann musste zudem versprechen, von dem genutzten Land den Bodenzins und den Heuzehnten an die vorgesehene Stelle «geflißentlich zu entrichten» Unklar ist, was mit der Verpflichtung, «auch zug und wacht zu versehen», genau gemeint ist. Letztlich hatte der Pächter «tach und gmach, fenster und öffen, auch die güter und hagen, graben und was sonsten von nöthen, in gutem stand und ehren zu erhalten und sorg zu selbigen zu tragen».
Erismann hatte drei Bürgen zu stellen. Es waren sein Schwager Fridli Eichenberger von Beinwil, Christen Müller von Oberkulm und Abraham Erismann von Rued. Wo der Vertrag abgeschlossen wurde, ist darin nicht ausdrücklich vermerkt. Es dürfte im Schloss Hallwyl oder in Seengen geschehen sein. Der Vertrag dauerte von Ostern 1704 bis an Ostern 1705. Datiert ist er auf den 17. Mai 1704. Er wurde also erst nach Beginn der Pacht abgefasst. Da kein Pächterwechsel stattfand, war das unproblematisch. Ausgefertigt wurden zwei Exemplare, zweifellos je eines für den Wirt und für die Besitzerin, Frau Lüthi. Geschrieben wurde das Dokument von einem Notar namens Jacob Keller und mit einem Siegel versehen von Johann Rudolf Graviset, «thwing- und gricht verwalter der woladelichen Herrschafft Hallweil».
2. Teil
Keine grosse Freude am Leimbacher Wirtschaftsbetrieb hatte das Reinacher Chorgericht, das als kirchliche Behörde auch in Leimbach zuständig war. Auseinandersetzungen mit Erismann sind keine überliefert; andern Wirten aber musste das Gericht wiederholt ins Gewissen reden, weil sie sich um obrigkeitliche Vorschriften foutierten. Sie liessen zum Tanz aufspielen und duldeten Spiele um Geld, was beides verboten war. Aber solche Anlässe zogen die Leute an und erhöhten das Einkommen der Wirte. Selbst Johannes Lüthi erlaubte es sich während seiner Wirtetätigkeit einmal ungescheut, einen Geiger und einen Sackpfeifer anzustellen und die Gäste bei offenen Fenstern tanzen zu lassen. Das Chorgericht fällte Bussen aus und zeigte Lüthi sogar dem Landvogt auf der Lenzburg an mit der Bitte, die Wirtschaftsberechtigung zu überprüfen. Aus unbekannten Gründen geschah aber nichts, und das flotte Leben im Leimbacher Wirtshaus nahm seinen Fortgang.
Färberei- und zeitweiliges Wirtshaus in Leimbach kurz vor dem Abbruch im Jahr 1912
Erst 1713 nahm sich Bern als Oberherr der Sache an. Inzwischen waren das Färberei- und Wirtshaus samt Wirtsrecht von Frau Lüthi in den Besitz ihrer Wohngemeinde Signau übergegangen. Diese verkaufte alles an einen Johannes Müller von Zofingen weiter, der die Gaststätte in eigener Regie übernahm. Nun traten aber die Wirte in den Nachbardörfern Reinach, Menziken, Zetzwil und Gontenschwil auf den Plan. Sie hatten sich an der Konkurrenz in Leimbach schon längst gestört. Jetzt hielten sie den Moment für einen Vorstoss in Bern für günstig. Die Leimbacher Wirtschaft habe kein Existenzrecht, erklärten sie in ihrem Protestschreiben, sie sei zu schliessen. Und vor allem dürfe sie nicht als Taverne geführt werden. Bern entschied sich für eine mittlere Lösung. Es gestattete Müller die Weiterführung des Betriebes, doch nur als Pintwirtschaft, nicht als Taverne. Er durfte also keine warmen Speisen auftischen und schon gar keine Gäste über Nacht beherbergen. Zudem sollte das Wirtsrecht auf Müllers Person beschränkt sein und bei einem Verkauf des Hauses erlöschen. Es fällt auf, dass bei den ganzen Verhandlungen die Herrschaft Hallwyl, die das Wirtsrecht ja ursprünglich verliehen haben muss, nicht in Erscheinung trat und offensichtlich übergangen wurde. Wir vermuten, das hatte mit der Politik Berns zu tun, die Befugnisse der Gerichtsherren immer mehr einzuschränken, um möglichst uneingeschränkt und gleichmässig über alle Untertanen regieren zu können, auch über die in den Adelsherrschaften.
Bei der nächsten Handänderung im Jahr 1722 ging die Leimbacher Wirtschaft trotz der erwähnten Verfügung nicht ein. Ihre Tage waren aber gezählt. Ein Melcher Gautschi aus Reinach wirtete dort 1728 noch. Dann aber wurde es um das Wirtshaus still. Möglicherweise schlief der Betrieb von selbst ein. Die Quellen lassen das offen. Nun musssten die Leimbacher bis 1799 warten. Dann gestand ihnen die helvetische Regierung wieder eine Pinte zu. In welchem Haus sie untergebracht wurde, ist uns nicht bekannt. In den 1840er Jahren befand sich eine Speisewirtschaft im spätern Humbel-Haus auf der Ostseite der Dorfstrasse (2002 abgebrochen). Das heutige Restaurant Sternen, das kürzlich seine Tore vorderhand geschlossen hat, wurde erst um 1870 eröffnet. Das um 1852 erbaute Haus hat seinen Standort wenig südlich des 1912 abgerissenen ehemaligen Färberei- und ersten Wirtshauses.
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Dokument
- Titel:Eine frühe Wirtschaft in Leimbach
- Autor:Peter Steiner, Reinach
- Veröffentlichung:1. Nov. 2015
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Quellen
- Lehenbrief von 1704 (Staatsarchiv Bern, Familienarchiv Hallwyl A 0044)
- Reinacher Taufrodel, 27.05.1703 (Gemeindearchiv Reinach oder CD der HVW, Kirchenbuchdaten und Häuserfotos der Pfarrei Reinach)
- Lagerbücher Leimbach 1829, 1850, 1875 und 1898 (Gemeindearchiv Leimbach und Staatsarchiv Aargau)
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Literatur
- Die alten Gasthäuser im Wynental und seiner Umgebung, in Jahresschrift der HVW 1989/90, Seite 66 ff. (mit weiteren Quellenangaben)