Monatsbeiträge

Aug. - Sept. 2015, Peter Steiner

Ein Ehevertrag von 1805

1. Teil

Auch in früheren Zeiten legte man in familiären Angelegenheiten Wert auf klare Regelung, besonders wenn es um Hab und Gut ging. Ein Beispiel dazu liefert uns ein Ehevertrag aus unserer Region aus dem Jahr 1805. Damals wurden natürlich noch alle Dokumente handschriftlich abgefasst. Bei unserer Vorlage handelt es sich nicht um die defintive Fassung, sondern um den Entwurf. Die vielen Korrekturen machen das deutlich. Das Schriftstück ist in der weitschweifigen und umständlichen Amtssprache abgefasst, wie sie damals verbreitet war. Beim Lesen geht einem manchmal fast der Atem aus. Uns unnötig erscheinende Wiederholungen waren jedoch zweifellos beabsichtigt und betonten mit einer gewissen Feierlichkeit die Bedeutung des Inhalts.

Ehepartner waren ein Witwer aus Boniswil und eine Witfrau auf der Burg. Wie sie sich kennen gelernt hatten, bleibt unbekannt. Die Braut, Maria Müller, stammte ursprünglich aus Fahrwangen. Sie hatte Hans Rudolf Eichenberger, der damals bereits eine erste Ehe hinter sich hatte, 1779 geheiratet. Im Jahr 1800 war er mit 72 Jahren gestorben. Maria dürfte jünger gewesen sein.

Ausschnitt aus der ersten Vertragsseite: Anfang des Ehekontrakts

Ausschnitt aus der ersten Vertragsseite: Anfang des Ehekontrakts

Wir geben den Vertrag – er umfasst sechs dicht beschriebene Seiten – im vollen Wortlaut wieder. Hie und da unterbrechen wir den Text durch einen Kommentar. Die Rechtschreibung behalten wir bei, Kommas haben wir der besseren Übersichtlichkeit wegen da und dort ergänzt. Man beachte, dass der erste Abschnitt aus einem einzigen Satz besteht!

Ehekontrakt In Gottes Namen Amen

Wir Kaspar Humbel von Bonisweil im Bezirke Lenzburg als Hochzeiter und Maria Müller, des Hs. Rud. Eichenberger, Ölers sel., Witwe auf der Burg im Bezirke Kulm als Hochzeiterin, ich die leztere hierinn handelnd mit Handen und Authorisation des Edlen Hrn. Gemeinderaths Jakob Holliger von Bonisweil als des laut beiligendem, den 14. dieß lauffenden Monats datierten Vogtszeddels von dem titulierten Hrn. Bezirksamtmann May von Rued des Bezirks Kulm mir hiezu förmlich geordneten und vermög des obigen Vogtszeddel angehängten Weibelszeugnißes von ..?.. Holliger, Weibel von Bonisweil, von heutigem dato gebotenen Vogts, thun kund hiemit, daß wir mit heutigem dato nach genugsammer Überlegung und aus wahrer Zuneigung gegeneinander, uns ehelich miteinander versprochen und uns eine, Gott gebe, glükliche Ehe miteinander gestiftet und daß zugleich wir, da ich der Ehemann mit Kindern aus der 1ten Ehe, ich die Hochzeiterin aber mit keinen solchen versehen bin, beiderseits mit gutem wißenhaftem Sinne und rechter vollkommener Vernunft und Verstand ganz freiwillig und wohlbeglächlich(?) in der besten Form unseres zeitlichen Guts halber gegenwärtigen Ehekontrakt miteinander errichtet, beschloßen und zu Stande gebracht haben.

Frauen galten damals in rechtlichen Angelegenheiten nicht als handlungsfähig und bedurften dazu eines Vogts oder Vormunds. Der Kulmer Bezirksamtmann hatte der Braut daher in der Person des Gemeindrats Holliger von Boniswil einen Vogt bestimmt, der für sie handelte. Bei Vertragsabschluss lag ein Zettel vor, der bestätigte, dass Holliger diese Funktion hatte. Betont wird in der Einleitung, dass die Partner sich nach reiflicher Überlegung und bei klarem Verstand zur Ehe entschlossen hatten.
Nach dem umständlichen «Vorspann» folgen die Vertragsbestimmungen.

1. bestätigen wir unser gegen einander gethanes Eheversprechen mit der Zusage, dieses unser Eheverlöbniß nächstens auf gesezlich vorgeschriebene Weise, also durch öffentliche kirchliche Einsegnung vor einer christlichen Gemeinde zu vollziehen und mit Gottes Bestand während unserer Ehe alle die Achtung, eheliche Liebe und Treue zu erweisen, welche christliche und wohldenkende Eheleute einander schuldig sind.
2. Verspreche ich der Hochzeiter, diese meine geliebte Braut gleich nach unserer Kopulation (Trauung) und auf Lebenlang in mein Haus und in meinen Schutz und Schirm aufzunehmen, sie auf meines gegenwärtigen und zukünftigen Hab und Guts, so lang wir beieinander leben überhaupt und auf mein Vorabsterben auf hienach bestimmte Weise theilhaftig und genoß zu machen und sie gebührend mit allem nöthigen zu versorgen.
3. Hingegen verspreche ich die Hochzeiterin meinem geliebten Hochzeiter, alsbald nach unserer vollzogenen Eheeinsegnung mein sämtliches gegenwärtiges und zukünftiges Vermögen einzukehren und ihn deßen theilhaftig zu machen.
4. Da wir die Eheverlobten wegen unserem Alter nicht hoffen können, in unserer Ehe mit Kindern gesegnet zu werden, so machen wir auf diesen allerdings vorsehenden Fall hin wirklich die Bedingung, wie es mit unserem beidseitigen Gut nach unserem Absterben gehalten werden soll und zwar

Der Vertrag kommt rasch auf die finanziellen Punkte zu sprechen. Nach der klaren Bestimmung, dass das beiderseitige Vermögen während der Dauer der Ehe beiden gemeinsam gehören soll, werden die Verhältnisse nach dem Tod des einen Partners geregelt. Wichtig ist besonders die Sicherstellung der allenfalls zurückbleibenden Ehefrau. Für diesen Fall werden, wie die folgenden Ausführungen zeigen, die Rechte der Witfrau und die Pflichten ihrer Stiefkinder bis in alle Details festgelegt. Eine Rolle spielt dabei der alte Begriff «Schleiss», den man ungefähr mit «Altersrente» übersetzen könnte. Er beinhaltet das Wohnrecht und das Recht auf Versorgung mit Lebensmitteln, Geld und anderem für das Leben Notwendige.

A. Auf den Fall, wenn ich der Hochzeiter vor meiner geliebten Hochzeiterin absterben sollte, verheiße ich ihr und gebe ihr die Versicherung, daß ihr von meinem sel. Hinscheid hinweg, so lang sie annoch leben wird, folgender Schleiß zukommen soll:
1. Gebührt ihr die freye, ruhige und ihr unentgeldliche Wohnung in der hintern Stube meines Hauses und zwar so, daß sie dieselbe einzig (allein) inhaben könne.
2. Aller nöthige Plaz in meinem Hause zu Bewahrung (Aubewahrung) ihres Schleißes überhaupt sowie des Weins.
3. Das Recht, in einem Viertheils Erdreich, und zwar unten ab in der halben Juchart Land in der untern Weid genannt ob der Hallweilschen Herrenmath, die ihr beliebigen Gewächse pflanzen und genießen zu können.
4. Sollen meine des Hochzeiters Kinder und Erben die Hochzeiterin ..?.. dennzumaligen Mitlen lebenslang genugsamm beholzen.
5. Sollen meine Kinder und Erben ihr als ihrer Stiefmutter an Schleiß, so lang sie lebt, fleißig entrichten Milch täglich eine halbe Maß (ca. 0.8 Liter)
denne für jedes Jahr Kernen zwölf Viertel (270 Liter), Anken zwanzig und sechs Pfund, Geld fünfzig und zween Gulden, monatlich fällig
dürren Spek zwanzig und fünf Pfund, jährlich auf Liechtmeß (2. Februar) zu entrichten
Öhl zwei Maß (3.2 Liter), jeweilen im Anfang des Weinmonats fällig; Wein ein Saum (140 Liter) von Bonisweil, Obst vier Körbe voll Apfel und ein Korb voll Birnen, wann es nämlich so viel Obst an meinen des Manns Bäumen gibt, Erdäpfel sechs Körbe voll, im Herbst verfallen.
Beding: Dieser Schleiß nimmt gleich bei meinem des Hochzeiters Absterben den Anfang. Und wenn die Verfallzeit des eint oder andern Schleißartikels weiter als einen Monat von meinem Absterben an entfernt wäre, soll ihr sogleich auf dieses mein Absterben ein monatlicher Schleißantheil auf Rechnung entrichtet werden.
Endlich sollen meine des Hochzeiters und künftigen Ehemanns Kinder und Erben meiner geliebten Hochzeiterin und künftigen Ehefrau, so lang sie annoch leben wird, in gesunden und kranken Tagen auch alle nöthige Hülfe und Abwart fleißig, treulich und so, daß sie darüber nicht zu klagen habe, leisten, wie auch, wenn sie krank würde und eines Arzts bedürfte, die daherigen Arztkösten bezahlen, alles bei Verbindung meines des Hochzeiters und meiner Erben sämtlichen Haab und Guts.

2. Teil

Einfacher ist die Regelung für den Fall, dass die Ehefrau zuerst stirbt. Dann bleibt die Verfügungsgewalt über das gemeinsame Vermögen beim Witwer und geht nicht sofort an dessen Kinder über. Die Frau hat aber das Recht, Teile ihres Nachlasses bestimmten Pesonen zu vererben.

B. Dagegen erkläre ich die Hochzeiterin und verspreche, daß in beiden Fällen, wenn ich oder mein Hochzeiter und künftiger Ehemann Kaspar Humbel zuerst sterben würde, mein sämtliches eigentümmliches Gut nichts als die hienach genannten fünf Artikel von Kapital Gulden dreihundert und siebenzig samt der Bibel ausgenommen noch vorbehalten meinem geliebten Hochzeiter und künftigen Ehemann Kaspar Humbel oder, wenn er vor mir sterben würde, seinen Kindern und Erben, und zwar samt dem Zins und dem von mir allfällig nicht verbrauchten Schleiß zum wahren Eigentum zukommen und verbleiben soll.
Nur mache ich mit ausdrücklicher Genehmigung und Einwilligung meines des Hochzeiters und künftigen Ehemanns
die Bedingung
daß gleich nach meinem der Hochzeiterin Absterben von meinem Gut meinen hienach genannten Verwandten eigentümmlich zukommen und entrichtet werden soll:
I. meiner einten Schwester Barbara Müller, des Rudolf Gautschis von Rynach Ehefrau oder, wenn sie vor mir sterben würde, ihren Kindern eine Summe von Gulden Einhundert
II. meiner zweiten Schwester Elisabeth Müller, des Hs. Jak. Merz Ehefrau von Menziken oder nicht erlebenden Falls ihren Kindern Einhundert und zwanzig Gulden
III. denen sämtlichen Kindern meiner an Hartmann Hauri, Zürihapel genannt, in Seengen verheirathet gewesenen, aber nunmehr verstorbenen Schwester Susanna Müller, die sie mit diesem ihrem Ehemann erzeugt hat, Einhundert Gulden
IV. der Anna Maria und der Verena Geiger, des Christian Geigers Töchtern zu Gontenschweil, oder, wenn die eine oder andere vor mir stürbe, der Überlebenden von ihnen fünfzig Gulden
V. Und endlich soll auf mein Absterben meinem Taufgöte Hanns Rudolf Merz, des Hans Jakob Merzen Sohn zu Menziken, meine Bibel zukommen und zugestellt werden.

Dieses nun ist unser Ehekontrakt, bei dem es verbleiben und welcher ohne beidseitige Einwilligung weder aufgehoben noch abgeändert werden soll, indem keines von uns, den Verlobten und künftigen Eheleuten, von des Andern Miteln etwas mehrers, als was oben bestimmt ist, zu fordern hat.

Am Schluss erfahren wir, dass ein Notar den Vertrag aufgesetzt hatte und ihn im Schloss Hallwil den künftigen Eheleuten in Anwesenheit von zwei Zeugen vorlas. Der Bräutigam, die Braut und ihr rechtlicher Vertreter hatten auf den Vertrag ein Gelübde abzulegen.
Im Anschluss an die Verhandlungen hatte der Notar den Kontrakt definitv auszufertigen und zu unterschreiben, und der Boniswiler Gemeinderat versah ihn mit dem Gemeindesiegel.

Ohne Gefährde
Zu Urkund dieses Ehekontrakts ist dieser auf Angeben und Angloben der Parteyen also ausgefertiget und mit des unterzeichnenden Notaren Signatur sowol als mit dem Insiegel des Edlen G(emeinde)Raths Bonisweil verwahrt worden.
Expreß beruffene Zeugen, vor welchen wir die Eingangs genenten Eheverlobten diesen unseren Ehekontrakt wörtlich ablesen laßen und nachdem wir den ganzen Inhalt deßelben wohl verstanden und solchen unserem Willen gemäß beschrieben gefunden und vor welchen Zeugen wir der Hochzeiter sowol als die Hochzeiterin und ihr Vogt hierüber dem unterzeichneten geschworenen Notario publico die behörigen Gelübde erstattet haben, sind: Jakob Fischer, alt Schulmeister von Tenweil, und Heinrich Benz von Wolflingen, dießmal zu Hallweil in Diensten.
Aktum der Angab und Beglobigung dieses Ehekontrakts im hinteren Schlosse Hallweil, den ein und zwanzigsten Herbstmonats im Jahr Eintausend achthundert und fünf 1805.
Johann Kaspar Fischer, Not(arius) pub(licus) von Meisterschwanden, Kontraktenschreiber zu Bonisweil

Ausschnitt aus der letzten Seite: Abschluss des Vertrags mit Unterschrift des Notars

Ausschnitt aus der letzten Seite: Abschluss des Vertrags mit Unterschrift des Notars

  • Dokument

    • Titel:
      Ein Ehevertrag von 1805
    • Autor:
      Peter Steiner, Reinach
    • Veröffentlichung:
      1. Aug. 2015
    • Download:
  • Quellen

    • Ehevertrag aus dem Privatarchiv von Roland Merz, Menziken