Monatsbeiträge
Juli 2022, Christian Märki
Die Menziker Panoramen von 1872 und 2022
Im Juni 1872 schlug die letzte Stunde der Überreste der Burgruine Rynach. Was von der stolzen, im Vorfeld der Schlacht von Sempach 1386 zerstörten Stammburg derer von Rynach noch übrig war, wurde abgetragen, um Platz für den Bau des Schulhauses der Gemeinde Burg zu schaffen.
Kurz bevor der markante Bergfried, der auf dem Burghügel trohnte, niedergelegt wurde und für immer aus dem Landschaftsbild verschwand, diente dessen Plattform als Aufnahmeort einer Panoramafotografie. Der einer Menziker Familie entstammende Fotograf Jakob Wirz (1818 bis 1873) machte am 18. April 1872 auf der Plattform der Burgruine die als "Menziker Panorama" bekannt gewordene Aufnahme.
Übersicht des Panoramas 1872
Das Menziker Panorama von 1872
Die Panoramaaufnahme ist (wohl aus technischen Gründen) auf drei Platten von je 20.1 cm Breite und 12.1 cm Höhe gemacht worden. Die Gesamtbreite beträgt somit 67.2 cm. Die Fotografien sind auf Karton aufgezogen und aneinandergefügt. Das Ganze ist zu einem späteren Zeitpunkt hinter Glas gerahmt worden. Im Fusse sind die Fotografien in der Platte handschriftlich erläutert und datiert. Der Text lautet: "Panorama von Menziken aufgenommen von der Plattform der Schlossruine Reinach in Burg" Die Aufnahme reicht von Tabaktürmen am linken Rand über die Textilfabriken und das 1863 erbaute Menziker Schulhaus bis zur Villa Wegen und dem Haus Concordia. Erkennbar ist zudem der Trolerhof, das Alte Pfarrhaus und Gebäude im Falkenstein. Das Panoramabild von Menziken von 1872 dürfte eines der ältesten im Kanton Aargau sein.
Detailaufnahme Datierung in der Fotoplatte "Photographiert am 18. April 1872 von Jb Wirz Photograph von Menziken
Detailaufnahme Bezeichnung
Das Projekt
Am 18. April 2022 jährte sich die Erstellung des Menziker Panoramas zum 150. Mal. Im Vorfeld dieses Jahrestages beschloss die Historische Vereinigung Wynental, möglichst am 18. April 2022 am gleichen Standort die Aufnahme von 1872 zu wiederholen. Dabei stellte sich das Problem, dass die Plattform der Burgruine Rynach ja abgetragen ist und zuerst ermittelt werden musste, auf welcher Höhe sich diese Plattform befunden hatte. Bei der Lösung dieses Problems konnte auf eine weitere Aufnahme des Bergfriedes, welche Jakob Wirz gmeacht hatte, abgestellt werden. Auf einer Aufnahme des Bergfriedes von Westen sind an dessen Fuss und auf der Plattform mehrere Menschen erkennbar, was eine Schätzung der Höhe des Turmes möglich machte. Die Höhe des Bergfriedes wurde so auf 12 bis 13 Meter ermittelt.
Aufnahme der Burgruine Rynach vom Juni 1872
In der nordöstlichen Ecke der Schulhausplattform steht ein mächtiger Kastanienbaum, der eine Wiederholung der Aufnahme von 1872 ab dem Burger Schulhaus unmöglich machte. Als Lösung wurden eine Aufnahme ab einer Feuerwehrdrehleiter oder eine Drohnenaufnahme erwogen, um auf die erforderliche Höhe zu kommen und den Baum zu umgehen. Bald wurde der Einsatz einer Drehleiter aus Aufwandgründen verworfen. Letztich erfolgte die Nachstellung der Aufnahme von 1872 mittels einer technisch entsprechend ausgerüsteten Drohne. Mit Herrn Michael Küng konnte ein professioneller Fotograf mit grosser Erfahrung gewonnen werden, welcher über das nötige Knowhow und die nötige Ausrüstung verfügte.
Das Menziker Panorama von 2022
An sich war vorgesehen, die Aufnahme am 18. April 2022 durchzuführen. Da dieses Datum auf den Ostermontag fiel und aus Wettergründen konnten die Aufnahmen nicht "punktgenau" erfolgen. Aufgrund des schlechten regnerischen und windigen Wetters musste die Aufnahme wiederholt verschoben werden. Am Samstag, 6. Mai 2022, war es dann soweit: Die Drohne stieg neben dem Schulhaus Burg in eine Höhe von 12 Meter und die Kamera machte die Aufnahmen vom "Menziker Panorama 2022". Aufgrund der Datenmenge verblieb die Drohne während mehrerer Minuten in der Höhe, wo sie, entsprechend programmiert, am selben Punkte schwebte.
Die Aufnahme von 1872 erwies sich als perspektivisch nicht optimal. Herr Küng musste in einem ersten Schritt die perspektivische Verzerrung korrigieren und danach eine Abgleichung der Daten mit Hilfe des 3D-Modells des Bundesamtes für Landestopographie vornehmen. Sodann suchte Herr Küng in der AGIS-Dokumentation der Denkmalpflege heute noch bestehende Gebäude; als Referenzpunkte dienten die Villa Falkenstein (erbaut 1857), die Gemeinde Schwarzenbach im Südosten, zwei noch bestehende Bäume und die noch fast identische Waldgrenze am Nordende des Ischlags, der die natürliche Grenze zum Seetal bildet. Mit Hilfe dieser Referenzpunkte konnte Herr Küng Aufnahmewinkel für die Nachstellung der Aufnahme berechnen Das Ganze musste dann noch mit der Brennweite abgeglichen werden.
Abgleich der Brennweite für die Aufnahme 2022
Wie Jakob Wirz 1872 erstellte Michael Küng 2022 das Panorama aus drei Einzelaufnahmen, welche nach erfolgter Aufnahme am Computer bearbeitet und zu einem Panaoramabild zusammengefügt wurden. Mit KI-gestützter Software wird die Aufnahme so hochgerechnet, dass grössere Drucke möglich werden.
Dank kleinerer Brennweite zeigt das Panorama von 2022 mehr Details als dasjenige von 1872. Mit diesen technischen Mitteln konnte eine hohe Übereinstimmung der Nachaufnahme mit dem Original erreicht werden. Die beiden Varianten sind von Aufnahme und Zuschnitt her identisch.
Aus Gründen der Vergleichbarkeit wurde die Aufnahme von 2022 nicht nur farbig, sondern auch in Graustufen bearbeitet, um die Aussagekraft der Gegenüberstellung mit dem Original von 1872 zu erhöhen.
In der Folge wurden die erhobenen Aufnahmen und Daten so bearbeitet, dass eine mit der Aufnahme von 1872 weitgehend deckungsgleiche Aufnahme entstand, welche eine Gegenüberstellung und einen Vergleich erlaubt.
Die Menziker Panoramen von 1872 und 2022 – eine Gegenüberstellung
Eine Gegenüberstellung der beiden Panoramen macht die enorme Bautätigkeit der letzten Jahre augenfällig. 1872 war die Landschaft weitgehend leer und landwirtschaftlich genutzt, 2022 ist das ganze Tal in seiner Breite besiedelt und weitgehend überbaut. Auf der Aufnahme von 1872 sind die wenigen industriellen Anlagen als Grossbauten in der sonst leeren Landschaft auffällig; 2022 gehen die Industrie- und Gewerbebauten in der Menge der Einfamilienhäuser und Wohnblöcke unter. Die alte Bausubstanz der Strohdachhäuser ist völlig verschwunden. Wenig verändert ist der Wald und die freien Flächen unterhalb des Trolerhofes und Richtung Schwarzenbach.
Gegenüberstellung und Abgleich der beiden Panoramen
Der Blick von der Burg auf Menziken hat sich in den vergangenen 150 Jahren somit stark verändert. In umgekehrter Richtung ist es ebenfalls so. Mit der Fusion ergeben sich neue und gemeinsame Perspektiven.
-
Dokument
- Titel:Die Menziker Panoramen von 1872 und 2022
- Autor:Christian Märki
- Veröffentlichung:1. Juli 2022
- Download:
-
Quellen
- Jakob Wirz: Menziker Panorama von 1872. Fotografische Aufnahme vom 18. April 1872, aufgenommen von der Plattform der Burgruine Reinach.
- Peter Steiner: Vor Zeiten im Wynental. Jubiläumsschrift der Historischen Vereinigung Wynental zu ihrem 50-jährigen Bestehen, Menziken 1978
- Peter Steiner: Frühe Fotografen im Wynental, in: Neues zur Geschichte des Wynentals, Jahresschrift der Historischen Vereinigung Wynental 2013/14
- Christian Märki: Eine "posthume" Darstellung der Burgruine Rynach. Monatsbeitrag der Historischen Vereinigung Wynental September 2021
-
Anmerkungen