Monatsbeiträge

Okt. - Nov. 2019, Christian Märki

Die Menziker Jubiläumslinde - eine (fast) vergessene Geschichte

1. Teil

Im einen oder andern Menziker Haushalt wird sich noch ein Exemplar der vorstehend abgebildeten Urkunde von 1953 finden, welche an die Feier zum 150-Jahr-Jubiläum des Kantons Aargau erinnert. Die Urkunde misst 32.5 x 23.5 cm und wurde in der Firma A. Weber & Söhne in Menziken reproduziert. Mit einem Begleitschreiben des Gemeinderates wurde die Reproduktion der «Gedenkschrift» allen Menziker Haushaltungen zugestellt. Auch in der Stierenberghütte befindet sich in einem Rahmen ein Exemplar der «Gedenkschrift». In der Urkunde wird Bezug genommen auf eine Linde, welche der Einwohnergemeinde Menziken von den Ortsbürgern aus Anlass des Kantonsjubiläums geschenkt wurde. Was ist der Hintergrund dieser Urkunde? Wo befindet sich deren Original? Was ist das für eine Linde, auf welche in der «Gedenkschrift» Bezug genommen wird?

1953 feierte der Kanton Aargau sein 150-jähriges Bestehen als Mitglied der Eidgenossenschaft. Bei der Vorbereitung der Jubiläumsfeiern wurde vom kantonalen Organisationskomitee angeregt, dass auch in den Gemeinden Jubiläumsanlässe durchgeführt werden sollten. Es erging ein entsprechender Aufruf, der von einer Vielzahl von Aargauer Gemeinden aufgenommen wurde. Auch die Gemeinde Menziken nahm die Anregung auf. In der Folge wurde ein ehrgeiziger Fahrplan umgesetzt:

Mit Schreiben vom 26 Juni 1953 kontaktierte der Gemeinderat den Verkehrs- und Verschönerungsverein Menziken (nachfolgend VVM) und teilte mit, auf Anregung des Kantonalkomitees sei ein Lokal-Komitee mit Herrn Prokurist Hess an der Spitze bestellt worden. Man sei zum Schluss gekommen, die Jubiläumsfeier mit der 1. Augustfeier zu kombinieren, "um einer übermässigen Festerei vorzubeugen". Da der Verkehrs- und Verschönerungsverein traditionsgemäss die 1. Augustfeier organisiere, solle die Organisation des Jubiläums nur unter enger Fühlungnahme mit dem VVM erfolgen. Der Wunsch des Gemeinderates sei, dass der VVM mit dem Lokalkomitee zusammensitze, um "in gemeinsamer Arbeit etwas Gediegenes vorzubereiten".

Am 17. August fand eine vorbereitende Sitzung im Restaurant Schmied-Stube statt, an welcher neben dem Obmann des Lokalkomitees Vertreter des VVM, der Lehrerschaft, der Turnvereine ETV und Satus auch ein Vertreter des Gemeinderates und des Ortsbürgerrates teilnahmen. Obmann Hess erläuterte die Gründe der Zusammenkunft "zwecks Arrangement der diversen Feieraktionen und der Lindenspende des Ortsbürgervereins, die im Gemüsegartenareal eingesetzt werden soll nach erfolgter Abholung der Schuljugend beim Hotel Sternen und anschliessender Umzug". Als Datum wurde der 29. August vorgesehen. Neben einem Umzug beim "Einsatz" der Linde wurde für den Abend ein weiterer Umzug mit Fackeln, Kantonslampions mit Trachtengruppe zum Höhenfeuer auf dem Trolerhof diskutiert. Es wurden gegen ein Höhenfeuer beim Trolerhof Einwendungen "wegen der alten Leute" erhoben und ein Feuer im Dorfzentrum als sinnvoller erachtet. Es wurde auch diskutiert, dass die Läden am Samstagnachmittag geschlossen bleiben sollten und ein Gesuch an die beiden Firmen "Alum A.G. und Walzwerk A.G." ergehen sollte. Es wurden weitere Wünsche laut wie Fahnenschwingen beim Umzug sowie das Tragen plastischer Bilder.
Am 20. August 1953 fand eine weitere Sitzung statt. Bezüglich Ladenschluss am Samstag ergab sich, dass der Handwerk- und Gewerbeverein nicht einverstanden war und eine Korrektur im betreffenden Inserat verlangte. Zum Umzug wurde erwogen, dass dieser ohne besondere Motive, abends mit Fackeln erfolgen sollte. Zum Setzen der Linde sollten die Kinder zugezogen werden, damit jedes Kind eine Schaufel Erde beifügen konnte. Bezüglich des Abends wurde ein Fackelumzug mit Musikbegleitung vorgesehen. Für das Schlechtwetterprogramm sollte die Aluminium AG für die grosse Walzwerkhalle angefragt werden.

An einer weiteren Sitzung unbestimmten Datums wurde das Arrangement betreffend Umzug definitiv festgelegt:

Es wurde in relativ kurzer Zeit ein Programm aufgezogen, welches aus heutiger Sicht erstaunlich ist. Das definitive Programm wurde im Wynentaler Blatt Nr. 69 vom 29. August 1953, dem Tage der Feier, publiziert.

2. Teil

Am 29. August 1953 war dann ganz Menziken auf den Beinen. Der Umzug formierte sich beim Schulhaus, mit einer Reitergruppe voraus zogen die Schüler, Behörden, Vereinsdelegationen, etc. an die Gemeindegrenze bei der Villa Wyna, wo ein prächtig geschirrtes Gespann mit der Linde wartete.

Die Linde wurde im Festzug an ihren Bestimmungsort geführt und im Rahmen einer würdigen Zeremonie eingepflanzt. Über die Feier wurde im Wynentaler Blatt Nr 70 vom 02. September 1953 folgendermassen berichtet:

v.l.n.r.: Reinhold Weber (Vereinigte Schreinereien); Alfred Jager (Konsumverwalter); Heinrich Schmid (Waldarbeiter); Haller (Waldarbeiter); 3 Kinder Brechbühl und Fehlmann; Jakob Fehlmann (alt Förster); Karl Brechbühl (Landwirt und Gemeinderat).

v.l.n.r.: Reinhold Weber (Vereinigte Schreinereien); Alfred Jager (Konsumverwalter); Heinrich Schmid (Waldarbeiter); Haller (Waldarbeiter); 3 Kinder Brechbühl und Fehlmann; Jakob Fehlmann (alt Förster); Karl Brechbühl (Landwirt und Gemeinderat).

"Wir haben mehr als einen alten Menziker – alt an Jahren und im Sinne von alteingesessen - gesehen, der sich am letzten Samstag seiner Tränen in den Augen nicht schämte. So schön war das Fest. Es war ein Erlebnis. Das bestätigt jeder, der dabei war. Und wer wäre nicht dabei gewesen? Das ganze Dorf befand sich am Samstagabend auf dem Festplatz der Russrainmatten. (…)

Die Feier begann bereits am Nachmittag. Um zwei Uhr läuteten die Glocken der zwei Kirchen von beiden Talhängen. Um halb drei besammelten sich die Teilnehmer des Festzuges auf dem Schulhausplatz und die Zuschauer legten ein letztes Mail Hand ans Sonntagsgwändli um als dicht Spalier Bildende vor den vorbeimarschierenden Behörden und Vereinen bestehen zu können. (…) Auf dem Rückweg von der Reinacher Grenze fuhr die Linde im Zug mit. Auf bekränztem Wagen und betreut von einer urchigen Eskorte. Beim Schulgarten wurde sie behutsam von ihren Fesseln befreit und vom Ortsbürgerverein an die Einwohnergemeinde übergeben. (…)"

Der abendliche Fackelzug brachte die Strassenlaternen zum Erlöschen und den hintersten Dorfgenossen auf die Beine. (…) Die Jubiläumsfeier auf dem Festplatz eröffente die unermüdliche Konkordia mit ihren schmucken Weisen, die ebenfalls zur Tradition gehören. (…)"

Es folgten Gesangsdarbietungen, die verschiedenen Turmvereine stellten historische Bilder dar und es wurden aus dem Festspiel von Rektor Otto Brogle Szenen aufgeführt. Regierungsrat Schwarz, Erziehungsdirektor, hielt die Festansprache; er redete "der Liebe zum Boden, der Demut, dem Fleiss und der Bescheidenheit und der Achtung des Nächsten" das Wort und warnte vor den Gefahren der Hochkonjunktur und des damit verbundenen Materialismus. Ein prächtiges Jubiläumsfeuer schloss den Festakt ab.

Unter dem Wurzelballen der Linde wurde eine Kupferkapsel einbetoniert, welche ein Exemplar der "Denkschrift" und einen "Aargauer Jubiläumstaler" enthielt.

Vom ganzen Anlass sind die Linde und die "Gedenkschrift" geblieben. Aus der jungen Linde ist ein stattlicher Baum geworden:

  • Dokument

    • Titel:
      Die Menziker Jubiläumslinde - eine (fast) vergessene Geschichte
    • Autor:
      Christian Märki
    • Veröffentlichung:
      1. Okt. 2019
    • Download:
  • Quellen

    • Jubilierender Aargau, Erinnerungsschrift zur 150-Jahrfeier 1953, Aarau 1953
    • Protokolle des Verkehrs- und Verschönerungsvereins Menziken
    • Schreiben Gemeinderat Menziken vom 26.06.1953 an VVM
    • Schreiben Gemeinderat Menziken vom 22.12.1953 an alle Haushaltungen
    • Jubiläumsurkunde / Gedenkschrift vom 29. August 1953
    • Wynentaler Blatt Nr 70 vom 02. September 1953
    • Der Autor dankt Frau + Susi Merz, alt Gemeindeammann, Menziken, und Herrn Roland Merz, Ortsbürgervereinigung Menziken, für die Unterstützung und das Überlassen von Quellenmaterial.